Befreiung vom Überfluss

Auszug aus dem Artikel "Viel haben gerät in den Widerspruch zu gut leben", in: der pilger 35/2013

Zum Auftakt der Kampagne "Gutes Leben. Für alle!" am 23. August 2013 erläuterte Professor Dr. Niko Paech seine Überlegungen zum Thema aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht. Unter dem Titel "Befreiung vom Überfluss - Aufbruch in die Postwachstumsökonomie" führte er dem Publikum einen hoch spannenden und gleichzeitig bedrückenden Blick in Zukunft und Gegenwart vor Augen. "Ohne eine Veränderung des persönlichen Lebensstils und eines Umbaus der gesamtwirtschaftlichen Grundausrichtung geht es nicht", so ist Paech überzeugt. Hier sieht er die große Herausforderung des 21. Jahrhunderts.

Das auf Wachstum beruhende westliche Wohlstandsmodell - auch wenn es zunehmend in einem "grünen Anstrich" daher kommt - ist in seinen Augen weder nachhaltig noch hält es sein Versprechen auf ein gutes Leben für alle. Verschuldungskrise, Ressourcenausbeutung, Klimawandel und die steigende Ungleichheit der Arbeitseinkommen und Vermögen zeigten, dass unser Lebensstandard nicht mehr lange haltbar ist. Nicht zuletzt die Finanzkrisen belegen für ihn das Scheitern des auf Wachstum und Fremdversorgung basierenden Wohlstandsmodells.

Gutes Leben ohne Wachstum?

Was sind für den streitbaren Wirtschaftswissenschaftler Paech die Merkmale einer Ökonomie jenseits permanenten Wachstums? Welcher Wandel, welche Institutionen, welche Konsum- und Produktionsmuster gehen damit einher? Welche Wege führen in eine Wirtschaftsordnung, die auch ohne permanentes Wachstum für soziale Stabilität sorgen könnte? Ein wichtiger Befund für Professor Paech ist, dass eine Steigerung des über Geld vermittelten materiellen Reichtums ab einem bestimmten Niveau das subjektive Wohlbefinden nicht weiter erhöht.
Da die Auswahl an Konsummöglichkeiten geradezu explodiert ist, der Tag aber nach wie vor nur 24 Stunden hat, wird die minimal erforderliche Zeit zum Ausschöpfen konsumptiver Optionen zum Engpassfaktor. Das Viel-Haben tritt in Widerspruch zum Gut-Leben. "Wir müssen die Kunst des verantworteten Konsums neu lernen", unterstreicht er.

Ansprüche zurückschrauben

Am Beispiel des Kohlendioxid-Ausstoßes macht Professor Paech deutlich, wie dramatisch die Situation der Menschheit geworden ist. Um das Klima in etwa stabil zu halten, dürften zum Beispiel die Deutschen pro Kopf und Jahr eigentlich nur 2,7 Tonnen Kohlendioxid verursachen. Tatsächlich sind sie für elf Tonnen verantwortlich. Wenn man die notwendige Reduktion schaffen wolle, so lasse sich das nicht mit grünem Wachstum bewerkstelligen - also mit mehr Produktion bei weniger Energieverbrauch und weniger Umweltverschmutzung. Schließlich brauche man auch für vermeintlich sauberes Industriewachstum immer größere Mengen von Rohstoffen, deren Ausbeutung selbst wieder Umweltzerstörung verursache. Der einzige Ausweg, der sich nach Überzeugung von Paech bietet, ist der einer Reduktion von Ansprüchen.

Regionale Selbstversorgung

Als "Postwachstumsökonomie" bezeichnet Professor Paech "eine Wirtschaft, die ohne Wachstum des Bruttoinlandsprodukts über stabile, wenngleich mit einem vergleichsweise reduzierten Konsumniveau einhergehende Versorgungsstrukturen verfügt."
Seine Postwachstumsökonomie orientiert der Oldenburger Professor, der an seiner Universität und in der Stadt mehrere Initiativen in diesem Sinne auf den Weg gebracht hat, an einer Suffizienzstrategie (Suffizienz meint hier Genügsamkeit) und dem teilweisen Rückbau industrieller, insbesondere global ausgerichteter Wirtschaftsprozesse zugunsten einer Stärkung lokaler und regionaler Selbstversorgungsmuster. "Hier müssen wir eine neue Balance finden", so die Forderung von Niko Paech. Eine ökologisch und sozial zukunftsfähige Ökonomie bedürfe der Beseitigung von Wachstumsabhängigkeiten und -zwängen. Bei dem notwendigen Umbau unseres Wirtschaftssystems und der Veränderung des eigenen Lebensstils geht um eine ungeheure Herausforderung an den einzelnen und die Gesellschaft, weiß Professor Paech.

Weitere Informationen

Zum Nachlesen
Die Folien aus dem Vortrag von Professor Dr. Niko Paech zur Auftaktveranstaltung vom 23. August 2013 können Sie hier herunterladen:
Befreiung vom Überfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie
(pdf-Datei, ca. 700 kB)

Buchtipp
Niko Paech
Befreiung vom Überfluss - Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie
144 Seiten
erschienen im oekom Verlag (5. Auflage, 2013)
Preis: 14,95 Euro
ISBN: 978-3-86581-181-3
Leseprobe und Bestellmöglichkeit: oekom Verlag

Zur Vertiefung
www.postwachstumsoekonomie.org
Niko Paech: Grundzüge einer Postwachstumsökonomie